Buch: „Warum gerade mein Bruder?“

M. Baßler, M.-T. Schins

Kinder und Jugendliche trauern anders. Und wenn ein Bruder oder eine Schwester stirbt, übersehen die betroffenen Eltern in ihrem eigenen Schmerz die Geschwister allzu leicht. Mitarbeiterinnen des «Verwaiste Eltern Hamburg e.V.» berichten ausführlich über Trauer um Geschwister

Kinder und Jugendliche trauern anders. Und wenn ein Bruder oder eine Schwester stirbt, übersehen die betroffenen Eltern in ihrem eigenen Schmerz die Geschwister allzu leicht. Mitarbeiterinnen des «Verwaiste Eltern Hamburg e.V.» berichten ausführlich über ihre Erfahrungen mit Geschwistern, die sie im Rahmen von Trauerseminaren betreuen. Jugendliche kommen mit eigenen Texten zu Wort, die sie im Rahmen einer Schreibwerkstatt erarbeitet haben. Auch das Lesen und Malen ist eine große Hilfe beim Umgang mit Trauer, was viele Beispiele und Anregungen verdeutlichen.

Leseprobe aus dem Kapitel: „Wenn Kinder trauern. Die Situation der Geschwister“ aus „Warum gerade mein Bruder?“

Meike, acht Jahre alt, leidet zwei Jahre lang stumm und zurückgezogen, bis ihre Eltern merken, dass ihr ruhiges Wesen wesentlich mit dem Tod ihrer Schwester zusammenhängt, die an Leukämie gestorben war. Niemand bemerkte, wie sehr sie sich verändert hatte, bis sie zunehmend aggressiv und unausstehlich wurde, bei geringsten Anlässen, oft aus unerfindlichen Gründen.

Karsten, zwölf Jahre alt, wurde nach dem Unfalltod seines Bruders in der Schule immer schlechter; zuvor war er ein ausgezeichneter Schüler.

Oliver, zehn Jahre alt, hatte über Jahre hin zunehmend Probleme, nachdem sein Bruder verunglückt war. Der zugängliche und verträgliche Junge wurde immer schwieriger für seine Freunde, Mitschüler und Nachbarn.

Markus, achtzehn Jahre alt, brach immer noch in Tränen aus, wenn er am Zimmer seiner «kleinen» Schwester vorbeikam, in dem sie bereits vier Jahre zuvor an Krebs gestorben war.

Zahllose Beispiele ließen sich anführen.«Zeit heilt Wunden» – dieser «Trost» greift hier nicht. Tiefe Trauer kann sich «einnisten», und oft wird die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Erwachsenen erst dann geweckt, wenn gravierende Verhaltensänderungen professionelle Hilfe notwendig machen – so wie bei Meike, Karsten, Oliver oder Markus. Der Zusammenhang zwischen dem Tod von Bruder oder Schwester und der Häufung von nachfolgenden Schwierigkeiten wird sehr oft gar nicht gesehen.

Was macht den Umgang mit der Trauer der Geschwister so schwierig? Halten wir Kinder «im Ernstfall» für zu jung, als dass wir das Verstehen der leidvollen Zusammenhänge voraussetzen könnten? Wollen wir sie schützen vor dem Tod und den qualvollen Gefühlen, die die Erwachsenen überschwemmen? Unterstellen wir nicht immer wieder, dass Kinder muntere und glückliche Wesen sein sollten, die nicht zu trauern «brauchen»? Oder ist es die allgemeine Unsicherheit, die Eltern, Verwandte und Freunde befällt, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen, weil sie nicht wissen, wie sie mit ihren Kindern über den Tod reden sollen? Oder ist es der Umstand, dass Kinder gewöhnlich nicht flüssig und direkt mitteilen, was in ihnen vorgeht? Oder versinken die Erwachsenen so sehr in ihrer eigenen Trauer, dass sie keine Kraft mehr haben für die Geschwister und ihre Trauer?

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