Warum ein Verein für verwaiste Eltern und Geschwister?

Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 16.000 und 20.000 Kinder und Jugendliche. Die Trauer um ein Kind besitzt grundsätzlich eine andere Dimension als die Trauer um Eltern, Großeltern oder eines Lebenspartners. Der Tod stellt immer etwas „Widernatürliches“ und Unfassbares dar. Oft tauchen Schuldgefühle auf und ein großer Teil der Lebensmotivation und des Lebensinhaltes scheint verloren zu gehen. Die Bewertung vieler Wert- und Glaubensvorstellungen und sozialer Kontakte verändert sich radikal und nachhaltig.
Wir bieten den Familien, in denen ein oder mehrere Kinder gestorben sind, möglichst schnell eine Unterstützung an, die es ihnen erleichtert, mit dieser Katastrophe weiterzuleben und ermöglicht, eigene Ressourcen zu entdecken und nutzbar zu machen.
Wenn ein Kind stirbt, bricht für Eltern und Geschwister ihre Welt zusammen. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Die erste Zeit wird in der Regel als ein reines Funktionieren beschrieben, in der Halt gesucht wird und eigene Bedürfnisse kaum klar erkennbar und schon gar nicht durchsetzbar sind. Meistens reagiert das gesamte soziale Umfeld verunsichert und versucht oftmals mit kontraproduktiven Verhaltensweisen, Tröstungsversuchen und Ratschlägen, diesen Familien zur Seite zu stehen. Die meisten Menschen ergreifen noch lieber die Flucht und weichen diesen Familien aus. Das bestärkt trauernde Eltern und Geschwister in ihrem Gefühl, allein zu sein und gelassen zu werden. Sie fühlen sich wie Aussätzige.
„Ich hatte gar nicht gewusst, dass es noch andere gibt, denen so etwas passiert ist!“ Annika, 14 Jahre.
Der Verein bietet Zeit, Raum und professionelle Begleitung. Hier darf geweint, gelacht, geredet und geschwiegen werden. Hier fühlen sich trauernde Eltern und Geschwister verstanden und aufgehoben. Die Gruppenteilnehmer*innen bilden untereinander ein tragendes Netz von Kontakten und Beziehungen und erleben Entlastung bei der Entdeckung, mit ihren Gefühlen und Erfahrungen nicht allein zu sein. Eltern und Geschwister bei denen der Tod ihres Kindes/ Geschwisters erst kürzlich geschehen ist, hören von den Erfahrungen der anderen Eltern, bei denen der Tod schon längere Zeit zurück liegt.

Wer kann zu uns kommen?
Zu uns können Väter, Mütter, Geschwister und Großeltern kommen, die um ein Kind, um Schwester, Bruder oder Enkelkind trauern, unabhängig von der Todesursache. Ihre Kinder/Geschwister sind gestorben durch Totgeburt, Tod im Säuglingsalter, Krankheit, Verkehrsunfall oder andere Unfälle, Drogen, Suizid oder Gewaltverbrechen. Die Teilnahme ist unabhängig von Alter, Familienstand, Konfession oder Wohnort.
In unseren Kinder- und Jugendgruppen begleiten wir auch junge Menschen, die um Mutter oder Vater, Großeltern oder andere nahe stehende Personen trauern.

Der Hintergrund
The Compassionate Friends (Mitfühlende Freunde) ist seit 1969 weltweit der Name einer von Coventry/England ausgehenden beeindruckenden Entwicklung von Selbsthilfegruppen für trauernde Eltern im anglo-amerikanischen Raum. Seit Beginn der 80er Jahre sind in Deutschland über 250 Gruppen und mehrere Vereine entstanden, zu deren bundesweiter Vernetzung wesentliche Impulse von Hamburg ausgingen, wo es den gemeinnützigen Verein seit 1990 gibt.
September 1990: An einem runden Tisch in der Evangelischen Akademie Hamburg sitzen Mütter und Väter, die mit dem Tod eines Kindes leben müssen, und gründen zusammen mit professionellen Helfern den Verein „Verwaiste Eltern Hamburg e.V.“. Zu lange schon hatten sie darunter gelitten, dass es für ihren Schmerz und die radikale Veränderung in Ihrem Leben keinen Platz in einer auf stetes Funktionieren ausgerichteten Gesellschaft gibt. Die Erfahrung der gegenseitigen Annahme und Akzeptanz aller auf sie einstürmenden Gefühle, die sie in einer bis dahin von der Nordelbischen Kirche angebotenen Gesprächsgruppe ausdrücken durften, ermutigt sie zu diesem Schritt. Sie wollen den vielen anderen trauernden Eltern die Möglichkeit geben, einen Ort der Geborgenheit und Unterstützung, einen Raum für Austausch und Neuorientierung zu finden. Zudem musste die Kirche zu diesem Zeitpunkt die Finanzierung einer Personalstelle aufgeben, so dass die Vereinsgründung auch für die Sicherung des begonnenen Angebotes von großer Bedeutung gewesen ist.
Die Schließung der Evangelischen Akademie war Bruch und Umbruch zugleich: Die Beratung und Begleitung betroffener Familien ist nun seit 2004 in der Bogenstraße beheimatet und bietet dort Hilfe in mehr als 25 fortlaufenden Gruppen. Längst ist aus der ersten Selbsthilfegruppe eine zentrale Anlauf- und Beratungsstelle geworden, die zu einem unverzichtbar gewordenen Angebot in Hamburg zählt und weit über die Landesgrenze hinaus bekannt und etabliert ist.
Im Jahre 2007 wurde der Vereinsname erweitert  in „Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V.“